Der Traumstudiengang eines jeden Fußballverrückten

Während meiner Schulzeit musste ich in der elften Jahrgangsstufe ein ganzes Jahr lang das Fach „BuS“ über mich ergehen lassen. Wobei selbst die Formulierung „ergehen lassen“ noch den reinsten Euphemismus darstellt. Es wird kaum jemanden verwundern, dass diese drei Buchstaben nichts, aber auch rein gar nichts mit einem gewissen Personenbeförderungsmittel zu tun haben. Leider. Denn diese drei Buchstaben waren das mysteriös anmutende Akronym für „Berufs- und Studienwahl“. Das bayerische Kultusministerium hatte in jüngerer Vergangenheit schon mehrere Schnapsideen in die Wirklichkeit umgesetzt, doch die Idee für das Fach „BuS“ musste dem Anschein nach auf einer ziemlich üblen Flatrate-Party entstanden sein. Da sich angeblich viele junge Leute auf dem Gymnasium heutzutage nicht hinreichend mit ihrer zukünftigen Berufs- bzw. Studienwahl beschäftigten, führte man also dieses Fach an, das wahlweise von fachkundigen Erdkunde- oder Sportlehrern unterrichtet wurde. Auf dem Lehrplan stand natürlich auch ganz standesgemäß ein Besuch beim örtlichen Arbeitsamt. Ein Test, der anhand unserer Vorlieben und Fähigkeiten unser zukünftiges Berufsbild beschreiben sollte, lieferte mir das Ergebnis, dass ich später einmal als Waldarbeiter voll aufblühen würde. Ja, ganz genau, als Waldarbeiter. Den ganzen Tag im Wald stehen und Holz machen. Die Waldarbeit in Ehren, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich in diesem Job jemals Erfüllung finden würde.

Und eigentlich war ich ja ein ganz klarer Fall. Zumindest aus meiner Sicht. Bis ich feststellte, dass es augenscheinlich keinen Studiengang gibt, der geballtes Fußballwissen und unendliche Hingabe an diesen Sport fordert. Enttäuscht musste ich zur Kenntnis nehmen, dass es eben niemanden so wirklich interessiert, wenn man sein Wochenende auf dem Sportplatz von Kreisligisten verbringt oder sich nächtelang im Internet Artikel über Fußballtaktik oder die neuesten Entwicklungen der polnischen Hooliganszene reinzieht. Der sportlich-praktische Teil stand zudem außer Frage, da ich mich niemals durch übermäßiges Talent hervortun konnte. So musste ich also, entgegen meiner eigenen Begabungen und Interessen, einen dieser konventionellen Studiengänge auswählen. Doch schon damals träumte ich davon, was ich nun in vollendeter Form darstellen will: den Studiengang Fußballwissenschaften.

Aller Anfang ist schwer

Wie jeder angesehene Studiengang, der sich für etwas Besonderes hält, zeichnet sich natürlich auch der Studiengang Fußballwissenschaften durch einen schier wahnwitzigen Aufnahmetest aus. Es sollen ja nur die besten Leute zum Zug kommen. Wer also nicht weiß, wann Rudi Völler als Spieler zur Roma wechselte und wie viele Tore er in wie vielen Spielen für die Mannschaft aus der ewigen Stadt erzielte, der kann gleich mal einpacken. Weiß jemand um die Anzahl der Verwarnungen von Tante Käthe in diesem Zeitraum, so bekommt er sogar einen Bonuspunkt. Schließlich stellen solche Fakten ja nur die Grundlage für ein erfolgreiches Studium dar. Wer dieses Martyrium erfolgreich überstanden hat, darf sich glücklich schätzen, denn derjenige ist nun Teil eines elitären Zirkels.

Wie jeder andere Studiengang beginnt auch das Studium der Fußballwissenschaften mit eher unspektakulären Veranstaltungen. Zunächst müssen die Frischlinge also verschiedenste, grundständige Einführungsvorlesungen besuchen. Dabei werden sie auch gleich mit der Struktur des Studiengangs vertraut gemacht, denn dieser gliedert sich in die drei Fachgebiete „Fußballgeschichte“, „Fußballtaktik“ und „Fankultur“. Am aufschlussreichsten dürfte für die Anfänger wahrscheinlich die wissenschaftliche Übung namens „Statistische Datenanalyse“ sein: hier werden den Studierenden die grafischen Analysen von SKY näher gebracht. Was beim Normalofan Samstag für Samstag nur zu Kopfschütteln führt, wird hier genauer erläutert, so dass die Studierenden nun etwas mit den scheinbar willkürlich aufblinkenden Pfeilen und Punkten sowie Quadraten in jeglicher Couleur anzufangen wissen.

Für Fortgeschrittene

Nachdem die ersten beiden Semester geschafft sind, dürfen sich die Studierenden nun im Vertiefungsmodul spannenderen Aufgaben widmen. Auch im Studiengang Fußballwissenschaften wird viel Wert auf Auslandserfahrung gelegt: so ist es für jeden notwendig, ein Groundhoppingsemester zu absolvieren. Während dieses etwas speziellen Auslandsaufenthalts müssen die Studierenden mindestens 50 Spiele in fünf verschiedenen Ländern besuchen. Dabei ist der Besuch von mindestens fünf Risikospielen à la Boca Juniors gegen River Plate oder Wisla Krakau gegen Cracovia selbstredend obligatorisch. Etwas gemütlicher wird es für die Studenten bei einer Exkursion, die wahrscheinlich jedem auf Lebenszeit in Erinnerung bleiben wird: ein Besuch des legendären Fußballtalks „Doppelpass“. Fortan wird sich nämlich jeden Sonntag ein Student der Fußballwissenschaften zu Jörg Wontorra und Co. gesellen, denn die Macher der Sendung haben sich endlich dazu entschlossen, die Gäste von der Bild-Zeitung durch fachkundigeres Personal zu ersetzen. Allerdings muss sich jeder Student zunächst über die Vorstufe „Mobilat Fantalk“ für die Teilnahme am „Doppelpass“ qualifizieren. Eine harte Nuss also. Für eine erfolgreiche Teilnahme am Seminar „Doppelpass“ muss der Student dann nur noch ein paar lächerliche Aufgaben erfüllen: zum einen müssen mindestens fünf Weißbier während der Sendung getrunken werden und zum anderen müssen so viel Sprüche geklopft werden, dass das Phrasenschwein mit mindestens fünfzehn Euro gefüttert wird.

Das Vertiefungsmodul bietet jedoch noch weitere Leckerbissen: der Student darf selbst am Dreh einer weiteren Folge von Danny Dyers „International Football Factories“ teilnehmen, muss sich verschiedenste Klassiker im Genre der Hooliganfilme ansehen und diese analysieren und zu guter Letzt müssen alle Spiele eines Afrika-Cups live mitverfolgt und protokolliert werden.

Praxisbezug

Selbstverständlich verzichtet der Studiengang Fußballwissenschaften jedoch nicht gänzlich auf den sportlichen Aspekt. So muss der Student mindestens drei Semester lang einen Fußballkurs belegen. Um eine Einstufung nach Können und Leistungsvermögen zu garantieren, müssen die Studierenden ganz im Stile des „Aktuellen Sportstudios“ an der Torwand antreten. Wer sechs Treffer erzielt, spart sich die Teilnahme am Fußballkurs und darf eine ruhige Kugel schieben. Zur Belohnung gibt es noch einen Blick hinter die Kulissen bei „ran“, wenn Hannover 96 mal wieder donnerstags irgendwo in der Ukraine antreten muss. Alle anderen, die es nicht zu sechs Treffern bringen, müssen nun solange an einem Fußballkurs teilnehmen, bis sie das Niveau „Mario Basler“ erreicht haben. Wer es also gewohnt ist, volltrunken zu spielen, hat gute Chancen dieses Niveau zu meistern. Dass dabei vor allem Studierende, die während ihrer Jugend unterklassig gespielt haben, Vorteile besitzen, sollte jedem klar sein.

Abschluss

In einem letzten Modul, dem sogenannten „Kompetenzmodul“, erlernen die Studierenden Fertigkeiten, die ihnen im Alltag weiterhelfen. So muss das Liedgut des Lieblingsvereins fehlerfrei beherrscht werden, wobei nicht auf gesangliche Fähigkeiten, sondern nur auf Lautstärke Wert gelegt wird. Ebenfalls muss jeder Student mit den Methoden der empirischen Stadionbier und –wurstanalyse vertraut sein. Am allerwichtigsten ist jedoch, dass die wissenschaftliche Übung „Sicheres Abbrennen von Pyrotechnik“ mit Bravour bestanden wird. Hat der Studierende all diese Hürden erfolgreich genommen, so stehen ihm nur noch zwei Aufgaben bevor: ein Praktikum und die Abschlussprüfung. Um zu Letzterer zugelassen zu werden, muss ein mindestens 34-spieltägiges Praktikum bei einer anerkannten Ultragruppierung geleistet werden. Damit sich der Student mit dem Titel „Bachelor of Arts Fußballwissenschaften“ rühmen kann, muss nun die Abschlussprüfung bestanden werden. Diese besteht darin, vollkommen nüchtern das Montagabendtopspiel zwischen dem SV Sandhausen und Erzgebirge Aue an der Seite von Thomas Herrmann zu kommentieren. Wer dabei nicht einschläft oder vorzeitig entnervt das Studio verlässt, den darf man beglückwünschen. Mit diesem Abschluss dürfte man zwar nicht allzu große Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, doch ein jeder Fußballverrückter könnte sich zumindest sicher sein, dass er seine Studienzeit äußerst sinnvoll und ereignisreich verbracht hätte. Wobei die Chancen auf einen Arbeitsplatz nicht gänzlich bei null sind, denn irgendwo her muss Sky seine Kommentatoren ja schließlich auch bekommen.

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